Wie Christo um die Verhüllung des Reichstags kämpfte

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Vor wenigen Tagen starb der Aktionskünstler Christo. Medien und Politiker würdigten den Mann, dessen spektakuläre Verhüllungen immer die Aufmerksamkeit der ganzen Welt erregten. Dahinter verschwand die Vorstellung, was es für ein Kraftakt bedeutete, solche Verhüllungen durchzusetzen.

In den Nachrichten wurde an herausragender Stelle die Würdigung von Wolfgang Schäuble genannt:

„Seine Kunst schärfte unsere Sinne. Er verbarg mit seinen Verhüllungen oft das Gewöhnliche und machte so das Außergewöhnliche sichtbar. Auch wenn die verfremdende Ästhetik seiner Werke im Vordergrund stand, so war Christo doch ein politischer Künstler, der sich immer wieder auf die Spaltung der Welt in Ost und West bezog und Freiheit einforderte.“

Christos Verhüllung des Reichstags wäre eine Zäsur gewesen und hätte „auf ganz eigene Weise das Ende der Bonner Republik“ versinnbildlicht. „Christo lehrte uns, das historische Parlamentsgebäude mit anderen Augen zu sehen und den Umzug von Bonn nach Berlin mit fröhlicher Leichtigkeit anzugehen. So flüchtig das Kunstwerk war, so fest ist es in unserer Erinnerung verankert. Dafür sind wir Deutsche Christo dankbar“. Was Schäuble nicht sagte war, dass er ein erbitterter Gegner der Reichstagsverhüllung war.

In seiner Rede während der Plenardebatte im Februar 1994 versuchte Schäuble alles, um den Erfolg seiner Rede für den Regierungssitz Berlin zu wiederholen. Damals wurde ihm bescheinigt, schwankende Abgeordnete seiner Fraktion für Berlin überzeugt zu haben. Mit derselben Leidenschaft versuchte der damalige Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion nun, das Projekt Christos zu verhindern. Es würde die „Ehrwürde“, die einem „Traditionsgebäude“ der freiheitlichen Demokratie innewohne schwächen. Die Deutschen hätten nicht genügend Verständnis für politischen Stil, politische Kultur und politische Würde. Die Verhüllung würde polarisieren, viele Menschen würden sie nicht verstehen und akzeptieren können. Es bestehe die Gefahr, das Vertrauen „zu vieler Mitbürger in die Würde unserer demokratischen Geschichte und Kultur“ Schaden nähme. Schäubles Würdigung von Christo wäre glaubwürdiger, hätte er sich dazu bekannt, sich damals geirrt zu haben.

Die Abstimmung ging dann ziemlich klar aus. Es gab 292 Ja-Stimmen, 223 Nein und 9 Enthaltungen. Übrigens findet man Angela Merkels Namen nicht in dem betreffenden Plenarprotokoll: Weder in der Dokumentation der Voten der Namentlichen Abstimmung zum Antrag, noch bei den für den Tag entschuldigten Abgeordneten: Wahrscheinlich war sie für die Abstimmung abgetaucht: Ein gängiges Mittel für MdBs (sie ja sogar Ministerin) eine heikle namentliche Positionierung zu vermeiden (ein Verhalten, was mittlerweile mit Strafgeld belegt wird, da es immer häufiger genutzt worden war).

Dieses Ergebnis hat auch vehemente Befürworter in seiner Klarheit überrascht. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, eine Befürworterin der ersten Stunde hatte unter dem Eindruck der Ablehnung von Bundeskanzler Kohl und Fraktionschef Schäuble mit einem Scheitern des Antrags gerechnet.

Das Projekt, den Reichstag zu verhüllen verfolgte Christo schon seit zwanzig Jahren. Er hatte vor dem Fall der Mauer bereits zwei Ablehnungen des Bundestags kassiert. Er ließ sich nicht entmutigen, sondern ergriff nach der Vereinigung erneut die Gelegenheit zu einem Vorstoß.

Die Reichstagsverhüllung war sicher Christos persönlichstes Projekt. Dabei spielte seine osteuropäische Herkunft und Prägung eine entscheidende Rolle. Er berichtete oft von seiner Mutter, die als junge Frau eine stark vom Bolschewismus geprägte Revolutionärin und zeitweilig Generalsekretärin des bulgarischen Künstlerverbandes gewesen war. Das Reichstagsgebäude an der Nahtstelle zwischen dem Ost-Teil der Welt und dem West-Teil hat ihn schon immer fasziniert: “Für mich als Flüchtling aus dem Osten war es natürlich besonders spannend, an einem Ort wie Berlin zu arbeiten, wo sich der Osten und der Westen in einem solch dramatischen Renkontre gegenüberstanden” …. Am damals ehemaligen deutschen Parlamentsgebäude sei das zur Zeit des Ost-West-Konflikts eben besonders deutlich geworden: „Das Reichstagsprojekt entspringt also meiner ganz persönlichen Lebenserfahrung“.

Christo kannte Gott und die Welt. Darunter befand sich Gerd Poppe, Bürgerrechtler zu DDR-Zeiten und Abgeordneter im ersten Bundestag nach der Vereinigung. Christo bat Poppe, Kontaktmöglichkeiten für ihn zu möglichst einflussreichen Abgeordneten zu schaffen. Aus Gründen, die mir entfallen sind, lud er mich ein, bei einem Gespräch mit Rita Süssmuth dabei zu sein. Wir, damals Angehörige der kleinen Gruppe Bündnis 90/ Grüne trafen uns mit der Bundestagspräsidentin in der malerischen Parlamentarischen Gesellschaft. Wir mussten Süssmuth nicht lange überzeugen, sie war gleich Feuer und Flamme. Sie erklärte sich bereit, die Schirmherrschaft über das Projekt zu übernehmen. Sobald Christo diese Zusage hatte, nahm er mit seiner Frau Jeanne-Claude für ein Jahr Quartier in Bonn. Er sprach mit jedem Abgeordneten, der bereit war, ihn persönlich zu empfangen. Er fuhr zu jedem Hinterbänkler in dessen Wahlkreis, um dort eine Veranstaltung zu machen. Nur Bundeskanzler Kohl weigerte sich standhaft, Christo zu empfangen. Ob Schäuble mit Christo geredet hat, erinnere ich nicht mehr.

Nach einem Jahr stand der fraktionsübergreifende Antrag auf Erlaubnis zur Verhüllung des Reichstags zur Debatte. Die Union hatte namentliche Abstimmung beantragt, also musste jeder Abgeordnete sich für oder dagegen bekennen. Christo und Jeanne Claude waren während der Debatte, die damals noch im legendären Wasserwerk stattfand, auf der Besuchertribüne anwesend. Die Spannung im Saal war mit Händen zu greifen. Mich hielt es nicht auf meinem Sitz. Ich ging dorthin, wo die Stimmen ausgezählt wurden. Sobald ich das Ergebnis kannte, rannte ich auf die Besuchertribüne, um Christo und Jeanne-Claude die freudige Botschaft zu verkünden. Nie werde ich das Strahlen in Christos Augen vergessen.

Im Sommer darauf wurde der verhüllte Reichstag zu Christos größtem Erfolg. Das kompakte Gebäude von Paul Wallot schien in seiner silbrigen Umhüllung förmlich zu schweben. Zu jeder Tageszeit leuchtete die Hülle anders. Regen, Sonnenschein, ja sogar die Dunkelheit erzeugten eigene Effekte. Alle, die es sahen, waren überwältigt. Es soll sogar Bitten ins Flugzeugcockpit gegeben haben, den Reichstag zu überfliegen, um das Schauspiel von oben betrachten zu können. Eine halbe Million Besucher waren bestenfalls erwartet worden, 5 Million kamen. Um den Reichstag herum präsentierte sich ein Deutschland, wie man es bisher nicht kannte: Entspannt, freundlich, begeistert, spielerisch. Mein Sohn Philipp gehörte damals zu Christos Monitoren. Das waren junge Leute, die rund um die Uhr im Einsatz waren, das Kunstwerk erklärten, Fragen beantworteten, Menschen daran hinderten sich ein Stück Stoff aus der Umhüllung zu schneiden und als Trost kleine Stoffquadrate verschenkten. Als er dies als MdB in der 18.Wahlperiode Christo bei der Eröffnung der vom damaligen Bundestagspräsidenten Lammert (auch ein Befürworter) organisierten Christo-wrapped-Reichstag-Ausstellung auf der Präsidialebene erzählte, war der Künstler natürlich sehr gerührt und erfreut.

Wegen des Riesenerfolgs gab es Überlegungen, die vorgesehenen 14 Verhüllungstage zu verlängern. Das lehnten Christo und Jeanne-Claude rigoros ab.

Zehn Jahre später gab es für mich eine freudige Überraschung. Obwohl wir seit dem Tag der Entscheidung keinen Kontakt mehr gehabt hatten, luden mich Christo und Jeanne-Claude persönlich zu ihrem neuen Projekt „Gates“ im Central Park in New York ein. Der Kulturausschuss des Deutschen Bundestages, dem ich 2005 angehörte, war so beeindruckt von dieser Einladung, dass sich eine besondere Dienstreise nach New York genehmigt bekam. Allerdings sollte ich nur hin- und am Abend wieder zurück fliegen, auch nicht Business, wie sonst üblich, sondern Economy. Das war mir ganz egal, ich war nur glücklich. Im Central Park verbrachte ich sechs Stunden, bis ich wieder zum Flughafen musste. Es war ein schöner, sonniger Frühsommertag. stärker noch als die safrangelben Stoffbahnen, die über den Wegen flatterten, beeindruckten mich die vielen Straßenmaler, die ihre Bilder an den Wegrändern ausstellten. Mindestens die Hälfte dieser Bilder zeigten nicht die Gates, sondern die Reichstagsverhüllung.



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