30 Jahre Friedliche Revolution

Veröffentlicht am

Siebzehnter Oktober 1989

Nach der gestrigen Erschütterung durch die Bilder von der Leipziger Demonstration folgt auf der wöchentlichen Politbürositzung für SED-Chef Honecker die nächste Katastrophe. Er wird von seinen Genossen als Parteivorsitzender und Regierungschef kurzerhand abgesetzt.
Sein engster Getreuer Willi Stoph stellt den Abwahlantrag. Selbst Stasichef Mielke bringt Argumente vor, warum Honecker gehen muss. Da der Noch-Parteichef die Sitzung leitet, muss er am Schluss die Frage, wer dafür sei, dass der Genosse Honecker von seinen Funktionen entbunden wird, selbst stellen und hebt aus alter Gewohnheit die Hand, um Einstimmigkeit zu gewährleisten. Mit Honecker müssen auch Günter Mittag und Joachim Herrmann, der Chefredakteur des Neuen Deutschland gehen.

Honeckers Nachfolger wird Egon Krenz, der glaubt, noch in die Rolle des Reformers schlüpfen zu können. Am selben Abend wendet sich Krenz in einer einstündigen Fernsehansprache an die Bürger der DDR. Dabei begeht er seinen ersten Fauxpas. Er redet die Menschen, die gerade dabei waren, sich von der SED-Herrschaft zu emanzipieren, mit „Liebe Genossinnen und Genossen“ an. Aber selbst wenn er das nicht getan hätte, wäre er von den DDR-Bürgern niemals akzeptiert worden.
Krenz war als langjähriger FDJ-Chef für die Demütigung der Jugend verantwortlich gewesen. Er war als oberster Wahlleiter der Hauptschuldige an der Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahlen. Schließlich hatte er das Massaker der chinesischen Genossen auf dem Platz des Himmlischen Friedens begrüßt. Damit hatte er jegliche Glaubwürdigkeit als Reformer verspielt.


1989: Tagebuch der Friedlichen Revolution
1. Januar bis 31. Dezember
Vera Lengsfeld



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