Meine Generation hatte das große Glück, in Frieden aufwachsen und alt werden zu dürfen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass es meinen Enkeln auch so gehen möge. Aber mein viertes Enkelkind, das in wenigen Tagen auf die Welt kommt, wird begrüßt mit Kriegsgeschrei. Der Krieg in der Ukraine, den die Welt seit Jahren achselzuckend hingenommen hat, ist mit dem Angriff Putins in die heiße Phase getreten, die nicht mehr ignoriert werden kann. Diesen Angriff zu verurteilen und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die den Aggressor stoppen können, ist eine absolute Notwendigkeit.
Aber leider geschieht nicht nur das. Statt Putin zu isolieren und die russische Opposition gegen den Krieg mit allen Mitteln zu unterstützen, wird weltweit ein Hass gegen die Russen und Russland geschürt, der nicht nur ekelhaft und irrational, sondern auch kontraproduktiv und gefährlich ist. Die Russen sind anders als offenbar die meisten Westler emotional tief mit ihrem Land verbunden. Sie werden die Kübel Schmutz, die der Westen über ihr Land und seine Bewohner ausgießt, nicht vergessen. Keine gute Verhandlungsgrundlage für die Zeit nach Putin.
Schon in der Corona-Krise hat der Westen größtenteils den Charaktertest nicht bestanden, indem Freiheitsrechte ausgehebelt und Hass von Politik und Medien gegen Ungeimpfte und Kritiker der Corona-Politik geschürt wurde. Die permanente Panikmache durch die staatlichen Institutionen und Haltungs-Medien hat eine hysterisch-aggressive Atmosphäre in der Gesellschaft geschaffen, die dem Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen, ohne das keine Gesellschaft erfolgreich sein kann, ruiniert haben. Nicht nur, aber besonders in Deutschland.
Nun richtet sich diese hysterische Aggressivität gegen die Russen, in und außerhalb Russlands. Wieder waren staatliche Institutionen und der Kultursektor dabei die Vorreiter. Das ist nicht neu. Schon der Erste Weltkrieg wurde von schlafwandelnden Politikern und kriegsgeilen Künstlern herbeigeschrien.
Ein Beispiel gefällig? Der junge Dichter Georg Heym schrieb vor der Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs in sein Tagebuch: „Es ist immer das gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts, nichts. … Würden doch einmal Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich daraufstellte, ich wollte noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es auch nur, dass man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein.“ „Wo bleiben die Stimmen der Vernunft?“ weiterlesen